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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.02.2000
Aktenzeichen: 4St RR 18/2000
Rechtsgebiete: HeilprG, StPO, StGB


Vorschriften:

HeilprG § 1 Abs. 2
HeilprG § 5
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 78a Satz. 1
StGB § 78 Abs. 2 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4St RR 18/2000

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BESCHLUSS

Der 4. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Lancelle sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Vitzthum und Dr. Pettenkofer

am 29. Februar 2000

in dem Strafverfahren

gegen

wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz

nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 24. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Im Zeitraum von August 1994 bis zuletzt am 21.11.1997 wandte die Angeklagte im Abstand von vier bis sechs Wochen bei mindestens 25 Terminen bei A P, die an einer schweren Skoliose mit Beckenschief stand leidet, in ihrer Praxis für Krankengymnastik und Massage Methoden der sog. Kinesiologie an mit dem Ziel, bei der Zeugin eine Linderung ihres Leidens zu erreichen. Ihr war dabei bewußt, daß sie weder im Besitz einer Approbation als Ärztin noch im Besitz einer Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde war. Vor Beginn der Anwendung der Kinesiologie erfuhr die Angeklagte von der Mutter der A P, der Zeugin R P, daß deren Tochter an Skoliose leide und ein Zahnarzt empfohlen habe, zur Linderung der Leiden ihrer Tochter es mit Kinesiologie zu versuchen. Eine Kontaktaufnahme der Angeklagten mit dem betreffenden Zahnarzt fand nicht statt, ebenso lag keine ärztliche Anweisung eines Heilpraktikers an die Angeklagte vor, A P mit Kinesiologie zu behandeln. Die Angeklagte untersuchte A P, stellte fest, daß Skoliose vorlag und begann auf Wunsch der Mutter mit kinesiologischer Behandlung.

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte am 20.4.1999 wegen unberechtigten Ausübens der Heilkunde zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 7.00 DM und bewilligte ihr Ratenzahlung.

Auf die Berufung der Angeklagten und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht Regensburg am 24.11.1999 das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf, erteilte der Angeklagten eine Verwarnung unter Vorbehalt einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 118 DM und verwarf im übrigen die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.

Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Angeklagten.

II.

Die Revision der Angeklagten ist zulässig (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) und führt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.

Der Schuldspruch durch die Strafkammer hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Die Tatbestandsmäßigkeit der der Angeklagten zum Vorwurf gemachten Tätigkeiten (§ 5 HeilprG) läßt sich dem angefochtenen Urteil bisher nicht entnehmen. Zwar hat die Angeklagte nach den Feststellungen eine Tätigkeit zur Linderung von Körperschäden vorgenommen. Diese Tätigkeit ist aber jedenfalls im Bereich der Sachverhaltsfeststellung durch das Landgericht nicht näher dargelegt, sondern nur mit der Anwendung von "Methoden der sog. Kinesiologie". Aus der Wiedergabe der Einlassung der Angeklagten geht hervor, daß diese Anfangs- und Endpunkte von sog. Meridianen berührt habe; ob die Strafkammer diese Angabe als zu ihrer Überzeugung feststehende Tatsache behandelt hat, läßt sich den Urteilsgründen aber nicht entnehmen. Auch führt das Landgericht den Begriff der Kinesiologie nicht näher aus.

Ob sich diese Tätigkeit als eine solche im Sinne von § 1 Abs. 2 HeilprG darstellt, läßt sich aus dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht ableiten. Die gebotene verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift setzt nämlich voraus, daß die Behandlung Gesundheitsschäden verursachen kann, wobei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine nur geringfügige Gefahrenmöglichkeit nicht ausreicht (vgl. Pelchen in Erbs/ Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze HeilprG - Stand 1.11.1998 - § 1 Rn. 8 m. Nachw.). Ob die von der Angeklagten ausgeübte Tätigkeit ein derartiges Gefahrenpotential aufweist, läßt sich aufgrund der fehlenden Ausführungen zur Kinesiologie nicht überprüfen. Die Urteilsfeststellungen lassen aber andererseits auch nicht erkennen, daß durch die Tätigkeit der Angeklagten eine rechtzeitige Diagnose oder Behandlung durch einen Arzt unterblieben wäre.

Schließlich wird aus dem angefochtenen Urteil auch nicht klar, worin genau die Strafkammer den Unterschied zwischen der Tätigkeit der Angeklagten (welcher?) und der Tätigkeit einer Masseurin sieht, welch letztere nach allgemeiner Auffassung dem Heilpraktikergesetz nicht unterliegt (vgl. Pelchen Rn. 5). Die negative Abgrenzung, die angewandte Methode sei keine klassische Bindegewebsmassage gewesen, reicht hierfür nicht aus.

2. Auch im Bereich der Irrtumsproblematik begegnen die Ausführungen des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zum einen ist nicht festgestellt, worüber die Angeklagte im einzelnen geirrt haben soll, worauf die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht ebenfalls zutreffend hingewiesen hat. Läge nämlich ein Tatbestandsirrtum vor, so wäre die Angeklagte freizusprechen, da der Straftatbestand des § 5 HeilprG nur vorsätzlich begangen werden kann (§ 15 StGB). Für die Einordnung des Irrtums über den Begriff "Heilkunde" (insbesondere in Abgrenzung zur Massage) als Tatbestands(bewertungs)irrtum oder als Verbots(subsumtions)irrtum ist entscheidend, ob sich die Angeklagte wenigstens laienhaft des Unterschieds zwischen Methoden der Kinesiologie und der Massage bewußt war und die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Faktoren gekannt hat.

Aber auch im Fall eines Verbotsirrtums hätte die Strafkammer darlegen müssen, daß die Angeklagte bei einer von ihr zu fordernden Erkundigung bei den Gesundheitsbehörden eine ihr negative Auskunft erhalten hätte.

III.

Auf die Revision der Angeklagten wird daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben (§ 353 StPO). Die Sache, die weiterer Feststellungen bedarf, wird an eine andere Strafkammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmig gefaßten Beschluß gemäß § 349 Abs. 4 StPO.

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß von der Klärung der jeweiligen Tätigkeit der Angeklagten auch die Frage der Verfolgungsverjährung abhängt. Gemäß § 78a Satz.1 StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Daß die Ausübung der Heilkunde weder ein Dauerdelikt noch eine fortgesetzte Tat darstellt, hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Ausübung der Heilkunde an verschiedenen Personen entschieden (BayObLGSt 1994, 158/160). Grundsätzlich beginnt daher die Verjährung mit dem Abschluß der jeweiligen Sitzung bzw. Behandlung. Mehrere Behandlungen (Sitzungen) einer Einzelperson können aber dann zu einer tatbestandlichen Bewertungseinheit nach § 5 HeilprG führen, wenn sie auf unveränderter Diagnose und Therapie beruhen. Diese beiden Bestandteile gehen in dem Begriff der Ausübung der Heilkunde auf; sie werden durch das zu behandelnde Krankheitsbild miteinander verknüpft. Eine Trennung der beiden Bestandteile würde zu einer unnatürlichen Aufspaltung der Behandlung führen. Ändert sich allerdings die Diagnose und/oder Therapie oder erscheint der Patient mit neuen Beschwerden, so ist für die Ausübung der Heilkunde eine neue Grundlage gegeben, welche die Bewertungseinheit beendet.

Da der Strafrahmen des § 5 HeilprG bis zu Freiheitsstrafe von einem Jahr reicht, beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 5 StGB drei Jahre. Die erste die Verjährung unterbrechende Handlung wurde durch Anordnung der Vernehmung der Angeklagten vom 4.2.1998 (Bl. 20 d.A.) vorgenommen (§ 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Der gesamte in der Anklage angenommene Zeitraum kann daher nur dann Grundlage einer Verurteilung sein, wenn sich Diagnose und Therapie von August 1994 bis über den 4.2.1995 hinaus nicht geändert haben.

Ende der Entscheidung

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